Wasserenthärtung durch Impfkristalle – was ist das denn?
Impfkristalle zur Wasserenthärtung, das hört sich schon ein wenig esoterisch an. Aber wenn dem Problem von hartem Wasser zuhause überhaupt nicht beizukommen ist, sollte man sich zunächst einmal unvoreingenommen anschauen, was sich hinter dem Konzept verbirgt, das Firmen wie Aqon-Pure oder perma-trade anbieten. Wir tun das in diesem Beitrag für Dich.
Welches Funktionsprinzip steckt hinter der Wasserenthärtung durch Impfkristalle?
Inhaltsverzeichnis
Durch physikalische Effekte – welche das sind oder sein könnten, das beleuchten wir später – werden im kalkhaltigen Wasser sogenannte Impfkristalle gebildet. Das sind mikroskopisch kleine Kristalle aus Kalk mit einer großen Oberfläche. Die Rede ist also von festen Partikeln, die nicht im Wasser gelöst sind, sondern im Wasser mitschwimmen. Die für das menschliche Auge nicht sichtbaren Kristalle lagern weiteren Kalk an und verhindern damit die sogenannte Steinbildung, also die unerwünschte Ablagerung an Rohren, Kesseln, usw. Bei einer Wasserentnahme aus dem Leitungssystem werden die Impfkristalle demzufolge ausgeschwemmt. Das hat zwei wesentliche Effekte:
- Calcium und Magnesium werden dem Wasser nicht entnommen. Wenn Du das Wasser trinkst, bleiben Dir demnach wichtige Mineralstoffe erhalten.
- Kalk, der beispielsweise nach dem Trocknen auf Badfliesen zurückbleibt, lässt sich einfach abwischen, anstatt dass Du ihm mit aggressiven Reinigungsmitteln zu Leibe rücken musst.
Demzufolge wäre es nicht richtig, von Wasserenthärtung durch die Impfkristalle zu sprechen. Der Kalk verbleibt – lediglich in anderer Form – im Wasser. Folgerichtig vermarkten die Anbieter ihre Anlagen auch nicht als Wasserenthärtungsanlagen, sondern als Kalkschutzanlagen.
Wie werden die Impfkristalle erzeugt?
Auch wenn es sich bei den Impfkristallen streng genommen nicht um Wasserenthärtung handelt, ist damit ja nicht gesagt, dass der beschriebene Effekt tatsächlich nicht hilfreich sein könnte. Zur Entstehung der Impfkristalle werden in Abhängigkeit vom genauen Arbeitsprinzip der Kalkschutzanlage mehrere Theorien ins Feld geführt, von denen jedoch keine bis jetzt bewiesen ist.
Magnet- und Elektrofeldsystemen
Durch Magnet- bzw. Elektrofelder werden Spannungsimpulse erzeugt, die die Oberflächenladung der im Wasser befindlichen kolloiden Teilchen beeinflussen. Dies bewirkt Elektrolysevorgänge (Aufspaltung in Ionen), welche einen lokalen Überschuss an Hydroxid-Ionen (OH–) zur Folge haben. Wenn es zu einer lokalen Übersättigung kommt, führt das basische Milieu zur Entstehung von Calciumcarbonat als Impfkristall.
Elektrochemischer Kalkschutz
Zwischen einer Anode und einer Kathode wird eine Spannung angelegt. Es kommt zur Elektrolyse, wobei an der Kathode OH-Ionen gebildet werden sollen. Wie oben beschrieben, wird auch hier das Milieu alkalisch und es entstehen CaCO3-Impfkristalle.
Elektrogalvanische Kalkschutzanlagen
Diese Systeme beinhalten eine edle Gehäusewand und eine Opferanode (z.B. aus Zink). Im Zuge eines Korrosionsstroms löst sich die Opferanode auf. Das in Lösung gehende Zink soll das Kristallwachstum verringern, während sich an der Gehäusewand Impfkristalle bilden.
Heterogene Katalyse
Kalkschutzanlagen, die nach dem Prinzip der heterogenen Katalyse arbeiten, nutzen ein Granulat aus besonderen Polymeren zur Bildung von Impfkristallen, die im übersättigten Wasser auf der Oberfläche entstehen. Bei Erreichen einer bestimmten Größe werden die Kristalle durch die Wasserströmung von der Polymer-Oberfläche abgelöst.
Fragen, die offen bleiben
Die Wissenschaft arbeitet mit Theorien. Eine Theorie kann so lange als gültig angesehen werden, bis sie durch Beweise widerlegt wurde. Die Theorien zur Impfkristallbildung wurden bisher nicht widerlegt, haben aber durchaus ihre Schwächen und es gibt auch keinerlei Beweise, die für sie sprechen. Es spricht beispielsweise viel dagegen, durch Magnetfelder Elektrolysevorgänge initiieren zu können. Und wenn, dann müssten dort, wo OH—Ionen entstehen, auch H3O+-Ionen entstehen. Die physikalisch wirkenden Kalkschutzsysteme werden um die Wasserleitung herum angebracht. Weil sie aber nur an einer prominenten Stelle im Haus angebracht werden und nicht großflächig um alle Leitungen, gehen die Theorien ja davon aus, dass die Impfkristallbildung irreversibel ist. Das heißt, beim Abschalten der elektrischen Felder lösen sich die Impfkristalle nicht wieder auf. Das sollte es eigentlich möglich machen, diese Impfkristalle mal sichtbar zu machen. Mikroskopiebilder davon werden aber nicht gezeigt.
Gibt es Messwerte?
Es gibt keine wissenschaftlichen und technischen Belege, dass Impfkristalle ein wirksames Mittel der Wasserenthärtung sind. Es gibt die Aussagen zufriedener Kunden, es gibt aber auch die Aussagen unzufriedener Kunden. Was man als Argument für Impfkristalle noch ins Feld führen könnte, sind unterschiedliche Wasserparameter. Die Theorien zur Impfkristallbildung setzen teilweise ein basisches Milieu, also einen hohen pH-Wert voraus. Auch scheint der Mineralstoffgehalt (siehe Zink) einen Einfluss haben zu können. Der pH-Wert und die im Trinkwasser enthaltenen Mineralienkonzentrationen sind nicht in jeder Region gleich, so dass sich hierdurch Unterschiede in der Wirksamkeit erklären lassen könnten.
Ist Wasserenthärtung mit Impfkristallen schädlich?
Es wurde ja schon festgestellt, dass es sich bei den sogenannten Kalkschutzanlagen mit Impfkristallen gar nicht um eine echte Wasserenthärtung handelt, weil dem Trinkwasser weder Inhaltsstoffe entzogen noch zugesetzt werden. Ein Vorteil besteht sogar darin, dass die umweltbelastenden Regeneriersalzspülungen im Vergleich zur klassischen Wasserenthärtung mit Ionentauschern entfallen. Aber schädlich ist diese Methode, wenn überhaupt, nur für Deinen Geldbeutel.
Wird Wasserenthärtung mit Impfkristallen empfohlen?
Kalkschutz durch Impfkristalle ist Glaubenssache. Es gibt keine evidenzbasierten Hinweise, dass die physikalischen Methoden der Wasserenthärtung wirksam sind. Wir bleiben jedenfalls skeptisch.